396 -
Nunmehr entfaltete sich in ganz Deutschland die hin-gebendste Opferwilligkeit. Alle, von dem einen Gefhle des heiligen Kampfes beseelt, legten nach Krften ihre Gaben auf den Altar des Vaterlandes, ja auch die Deutschen jenseits des Oceans sandten reiche Beitrge zur Untersttzung der Ver-wundeten und Hinterbliebenen. Behufs der Krankenpflege wurden Lazarethe angelegt, Vereine zum Zwecke der Kranken-pflege gebildet, * - und Tausende, Männer und Frauen, traten unter das Zeichen des rothen Kreuzes, das (nach der Genfer Convention) mitten im Toben der Schlacht die schtzen sollte, die sich dem Werke der Liebe und der Barmherzigkeit weihten.
Die norddeutsche Armee hatte 13 Armeecorps, von denen jedes zusammen 25 Bataillone, 24 Schwadronen, 16 Batterien ( 6 Geschtze), 9 Munitions-Colonnen, 3 Pionier-Compagnien und 11 Train-Abtheilungen, in Allem 930 Offiziere. 38,400 Mann, 11,900 Pferde und 96 Geschtze hatte. Die Kriegs-strke der Armee betrug ungefhr 500,000 Mann mit 1212 Geschtzen, die sofort ins Feld rcken konnten. Dazu kamen noch die Ersatz-Bataillone (bezw. Schwadronen) und die Besatz-Bataillone, letztere zum Dienste in Garnisonen und Festungen, endlich die Landwehrregimenter; ferner die Streitkrfte der sddeutschen Staaten. Von diesen stellte Baiern 69,000 Mann mit 14,800 Pferden und 192 Kanonen > wozu noch 25,000 Mann Ersatz- und 22,000 Besatztruppen kamen; die baierifche Infanterie fhrte den Werderschen Hinterlader. Wrtemberg
stellte 22,000 Mann mit 54 Kanonen und 6200 Pferden,
-
*) Aller Orten bildeten sich Bereine der freiwilligen Kranken-pflege, an deren Spitze der Fürst von Ple trat, dem sich Tausende ans allen Stnden (der evangelische Johanniter- und der katholische Maltheser-Orden) zur Verfgung stellten. Unter dem Pro-tectorate der Knigin Augusta stand der vaterlndische Frauenverein in fast 400 Zweigvereinen; durch die Victoria-Natioual-Jnvaliven-' Stiftung, durch die Kronprinzessin Victoria ins Leben gerufen, so wie durch die Kaiser-Wilhelms-Stiftuug, wurde fr die Familien der Landwehrmnner und Reservisten, spter fr die Invaliden Sorge getragen. General von Stosch machte sich durch vorzgliche Organi-sation des Verpflegungswesens verdient. Auch die trefflichen Leistungen der Feldpost (Stephan) sind zu erwhnen.
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Extrahierte Personennamen: Victoria Stosch Stephan)
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Baiern Johanniter-
1.
Herakles
(V
cvfn Theben lebte ein König, Amphitryon, dessen Ge-
mahlin Alkmene hieß. Sie gebar einen Sohn, den Hera-
kles (Hercules), als dessen Vater Zeus galt, der Gott des
Himmels und der Erde. Als der Knabe acht Monate alt
war, sandte Hera, die ihm feind war, zwei Schlangen in
seine Wiege, um ihn zu tobten; aber der Knabe streckte
lächelnd seine Hände nach ihnen aus und erdrückte beide. Zeus
gewann eine besondere Vorliebe für den schönen und kraft-
vollen Sohn und verlieh ihm die Unsterblichkeit. Auch Amphi-
tryon, der sterbliche Pflegevater des Götterkindes, erkannte
die große Bestimmung des Knaben und ließ ihn frühzeitig
von den besten Meistern in allen Künsten unterrichten, durch
welche sich die Helden jener Zeit auszeichneten. Die ange-
borene Riesenkraft wuchs mit den Jahren und den Geist bil-
dete Chiron herrlich aus.
Als er zum Jüngling herangewachsen war, ging er einst
einsam in der Gegend umher, und dunkle Ahnungen der Zu-
kunft wurden in ihm rege. Unter großen Gedanken und Ent-
würfen gelangte er an einen Scheideweg. Indem er noch
überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte, erschienen ihm
plötzlich zwei weibliche Gestalten. Die eine schön und reizend,
halb bekleidet und eitel sich selbst beschauend, ging ohne Scheu
auf den jungen Mann los und versprach ihm die höchste
Wonne und Glückseligkeit, wenn er ihr folgen wolle. „Wer
bist du?" fragte Herakles mit prüfendem Blicke. „Meine
Freunde," sprach die Göttin mit selbstgefälligem Lächeln,
„nennen mich das Vergnügen, meine Feinde aber das
Laster." Da schaute der junge Held nach der anderen Ge-
stalt, die war nicht so schön, aber auf ihrem Antlitz strahlte
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23
Unter den Königen, die aus seinem Geschlechte in Theben
regierten, ist besonders Lotos durch sein furchtbares Geschick
berühmt geworden. Ein Orakel hatte ihm verkündet, der Sohn
seiner Gemahlin Jokaste werde ihm das Leben rauben.
Lotos zitterte vor dem Sohne, der ihm bald darauf geboren
ward, und übergab ihn einem Diener, um ihn auszusetzen,
nachdem er ihm die Knöcheln mit Nadeln durchbohrt hatte.
Der Diener setzte ihn auf dem Berge Kithäron aus. Da
fanden die Hirten des korinthischen Königs Polybos den schrei-
enden Knaben und brachten ihn ihrer Königin Periböa, die
keine Kinder hatte. Das königliche Paar nahm den Findling
auf und erzog ihn an Sohnes statt. Da seine Füße in den
ersten Tagen noch geschwollen waren, nannte man ihn Oedi-
pus oder Schwellfuß. In Korinth wuchs er fröhlich auf und
glaubte im Hause seiner Eltern zu sein, bis ihm einer seiner
Altersgenossen einst im Zanke vorwarf, daß er ja nur ein an-
genommenes Kind sei. Diese Mittheilung traf ihn hart; er
wollte Gewißheit haben und fragte das Orakel zu Delphi
über seine Herkunft. Dies gab ihm die Weisung, die Heimath
zu meiden, sonst werde er seinen Vater tobten und seine
Mutter zur Frau erhalten. Da Oedipus gewöhnt war, Ko-
rinth als seine Heimath anzusehen, so kehrte er nicht wieder
dahin zurück, und wanderte von Delphi aus nach Theben zu.
Unterwegs kam er durch einen Hohlweg und begegnete hier
einem Wagen, in dem ein Herr mit seinem Herold fuhr. Da"^' ^
er nicht ausweichen konnte, tödtete der Herold eins von feinen .
Pferden; Oedipus griff zur Wehr und erschlug den Herrn
sammt den Diener. Er setzte darauf seinen Weg fort und
gelangte nach Theben, wo sich die Nachricht, daß König Lotos
von Räuberhand gefallen sei, schon verbreitet hatte. So
war denn Oedipus, ohne es zu ahnen, der Mörder seines
Vaters geworden.
Damals ward Theben von einem schrecklichen Ungeheuer
heimgesucht; es war die Sphinx, die oben wie eine schöne
Jungfrau, unten wie eine Löwin anzusehen war und an den
Schultern Flügel hatte. Dies Ungethüm durchzog das Land
und gab den Leuten ein Räthsel auf, das hieß also: „Was
ist das für ein Geschöpf, das eine Stimme hat, am Morgen
auf vier Füßen, Mittags auf zweien und Abends auf drei
\ J/i \ io\ 4, f ri" 'j '
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Vil
Lykurgos.
(888 v. Chr.)
'Ti (
/ti y
Achtzig Jahre nach dem Trojanischen Kriege (1104 v.
Chr.) zogen die Dorier, ein tapferes Bergvolk der kleinen
Landschaft Doris, die sich für Abkömmlinge des Herakles
ausgaben, bei Naupactos über die Meerenge in den Pelo-
ponnes und nahmen diese Halbinsel, die sie als eine von
ihrem Ahnherrn Herakles hinterlassene Erbschaft betrachteten,
in Besitz, nachdem sie die Nachkommen der Fürsten, die wir
aus dem Trojanischen Kriege kennen gelernt haben, besiegt
hatten. Doch wurde die Eroberung nicht auf einmal vollen-
det, vielmehr wehrten sich die Ueberreste der älteren Bevöl-
kerung noch Jahrhunderte lang gegen die siegreichen Dorier.
Diese theilten sich in das Land, und so entstanden im Pelo-
ponnes mehrere Reiche, von denen Sparta, Messmien und
Argos die bedeutendsten waren. In Sparta ging der Name
dieser Stadt auf die Sieger über, die sich Spartaner nannten,
während die unterworfenen Einwohner Lacedämonier hießen.
Diejenigen, welche lange Widerstand geleistet hatten, geriethen
in Sclaverei und wurden Heloten genannt. Sie mußten
den Spartanern die Felder bauen und hatten ein hartes
Loos.
In Sparta regierten immer zwei Könige zugleich; doch
riß im Laufe der Zeit eine so große Verwirrung und Ge-
setzlosigkeit ein, daß einst der König Eunomos in einem Auf-
ruhr mit einem Messer ermordet wurde. Es solgte ihm sein
Sohn Polydektes, und da auch dieser bald starb, übernahm
Lykurgos die Regierung. Als aber die Gemahlin des
verstorbenen Königs einen Knaben gebar, so trat er diesem
die Regierung sogleich ab und betrachtete sich nur als Vor-
mund des unmündigen Königs, obschon ihm die Königin den
Vorschlag gemacht hatte, das Kind heimlich zu tödten, wenn
er sie heirathen und König bleiben wollte. Doch Lykurgos
verschmähte diesen Antrag und ließ den Knaben gleich nach
der Geburt durch seine Diener zu sich bringen. Er saß
gerade mit angesehenen Spartanern beim Mahle, als ihm
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94
Lykurgos vor den Steinwürfen seiner Gegner vom Markte
fliehen mußte. Aber ein Jüngling, Namens Alk an der,
verfolgte ihn und schlug ihm, als er sich umwandte, mit dem
Stock ein Auge aus. Lykurgos drehte sich gelassen um und
zeigte dem Volke sein blutiges Gesicht. Da ergriff Scham
und Reue die Anführer und sie lieferten den Alkander dem
Lykurgos aus. Dieser nahm ihn mit in sein Haus, und
ohne ihm ein hartes Wort zu sagen oder ein Leid zuzufügen,
befahl er ihm nur, ihn zu bedienen. In der täglichen Um-
gebung des Lykurgos hatte Alkander Gelegenheit, den edeln
und sanften Charakter desselben, seine einfache, strenge Lebens-
art und seine rastlose Thätigkeit und Ausdauer kennen zu
lernen, so daß er zu seinen Freunden sagte, Lykurgos sei
weder streng noch eigenmächtig, sondern vor allen Andern
sanft und milde. So wurde Alkander aus einem erbitterten
Gegner ein Freund des Lykurgos.
Eine besondere Sorgfalt wendete Lykurgos der Erziehung
und Pflege der Kinder zu. Gleich nach der Geburt wurde
jedes Kind den Aeltesten gebracht, und wenn es wohlgebildet
und kräftig war, aufgezogen, war es aber schwach und ge-
brechlich, in den Höhlen des Taygetos zum Verhungern aus-
gesetzt, denn Lykurgos betrachtete alle Kinder als Eigenthum
des Staates und wollte nur kräftige Bürger erziehen. Bis
zum siebenten Jahre erhielten die Knaben die Pflege ihrer
Mütter, von da an wurden sie in die Knabenabtheilungen
aufgenommen und öffentlich erzogen. Sie spielten und scherz-
ten unter der Aufsicht eines älteren Knaben, von dem sie
Anleitung und nach Befinden auch Strafe empfingen, wobei
oft ältere Leute zugegen waren. Die Erziehung bezweckte
den Gehorsam gegen die Gesetze, Ausdauer in Beschwerden,
und den Sieg in der Schlacht. Die Knaben gingen meisten-
theils nackt und stets barfuß, sie schliefen auf Lagern von
Schilf, das sie selbst zusammentrugen und an den Ufern des
Eurotas mit den Händen ohne eiserne Geräthschaften abbrachen.
Nur im Winter dursten sie einige wärmende Kräuter zu
ihrem Lager hinzufügen. Ueber den einzelnen Abtheilungen
der Knaben und Jünglinge, die alle ihre besonderen Vor-
gesetzten hatten, stand ein angesehener Mann, der die Aufsicht
über seine Untergebenen führte.
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113
Und Solon sprach: ,,Zum ersten hatte Tellos bei dem
blühendsten Zustande der Stadt edle und vortreffliche Söhne,
die alle wieder Kinder hatten, und die waren alle am Leben;
und zum andern, da er nach menschlicher Kraft ein glückliches
Leben geführt, so kam noch dazu ein glänzendes Ende. Denn
als die Athener Wider ihre Nachbarn in Eleusis stritten, eilte
Tellos zur Hülfe herbei und schlug die Feinde in die Flucht
und starb den schönsten Tod. Und die Athener bestatteten
ihn auf öffentliche Kosten an demselbigen Orte, wo er ge-
fallen war, und erwiesen ihm große Ehre."
Als nun Solon so viel von Tellos großer Glückseligkeit
erzählte, ward Krösos immer begieriger und fragte: wer denn
der zweite wäre, denn er glaubte doch wenigstens die zweite
Stelle zu erhalten.
Solon aber sprach: „Kleobis und Biton von Argos.
Denn dieselben hatten, so viel sie bedurften, und dazu besaßen
sie eine große Leibesstärke, fo daß beide zugleich den Kampf-
preis davon getragen. Und dann erzählt man von ihnen
folgende Geschichte: Die Argiver feierten das Fest der Hera,
und die Mutter der Jünglinge mußte durchaus nach dem
Tempel fahren, aber die Rinder kamen nicht zu rechter Zeit
von dem Felde. Als nun keine Zeit zu verlieren war, spannten
sich die beiden Jünglinge selber vor und zogen den Wagen
und auf dem Wagen saß ihre Mutter. So fuhren sie die-
selbige einen Weg von fünfundvierzig Stadien bis zu dem
Tempel. Also thaten sie und die ganze Versammlung war
Zeuge der That. Da erlangten sie das beste Lebensende,
und es zeigte Gott dadurch an, daß dem Menschen besser sei
zu sterben, denn zu leben. Denn die Argiver, die umher-
standen, priesen der Jünglinge Gesinnung, die Argiverinnen
hingegen priesen die Mutter selig, daß ihr solche Kinder zu
Theil geworden. Aber die Mutter, voll inniger Freude über
die That und die Worte, trat vor das Bild der Göttin und
betete, daß sie dem Kleobis und Biton, ihren Kindern, die
ihr so große Ehre erwiesen, zu Theil werden ließe den besten
menschlichen Segen. Und nach diesem Gebet, nachdem man
geopfert und das Mahl gefeiert, schliefen die Jünglinge ein
in dem Tempel und standen nimmer wieder auf, sondern das
war ihres Lebens Ende. Die Argiver aber errichteten ihnen
Stacke, Griech. Geschichte. t0. Aufl. 8
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120
bringen. Da sich Harpagos nicht selbst zu der Mordthat ver-
stehen wollte, übergab er den Knaben einem von Astyages
Rinderhirten, mit dem Befehl, ihn in der wildesten Gegend
des Gebirges auszusetzen, daß er so bald als möglich umkomme.
Der Rinderhirt erfuhr aber des Kindes Herkunft und ließ
sich von seiner Frau, die ein todtgebornes Kind hatte, be-
wegen, das todte Kind auszusetzen und den ihm übergebenen
Knaben als seinen eigenen Sohn aufzuziehen. Damals hieß
er aber noch nicht Kyros, sondern hatte einen andern Namen.
Als er zwölf Jahre alt war, spielte er einst im Dorfe
mit andern Knaben seines Alters. Sie spielten König und
wählten dazu den angeblichen Sohn des Rinderhirten. Kyros
aber ordnete sie, die Einen, daß sie Häuser bauten, die Anderen,
zu Lanzenträgern, diesen machte er zum Auge*) des Königs,
jenem gab er das Amt, die Botschaften zu überbringen, kurz
jedem setzte er sein eigenes Geschäft. Einer der Knaben, der
Sohn eines vornehmen Meders, that nicht, was ihm geboten
war, und Kyros ließ ihn ergreifen und züchtigte ihn mit der-
den Schlägen. Der Knabe klagte dies seinem Vater, und
dieser lief mit dem Sohne voller Zorn zum Astyages, be-
schwerte sich über die schmähliche Behandlung und zeigte ihm
seines Sohnes Schultern. Astyages ließ den Rinderhirten
mit seinem Sohne holen und sagte zu dem Knaben: „Du,
eines so geringen Mannes Sohn, hast dich erdreistet den
Sohn eines Mannes, der bei mir in großen Ehren steht, so
schmählich zu behandeln?" Kyros sprach: „Herr, dem ist nichts
als sein Recht geschehen, denn die Knaben im Dorfe spielten
und setzten mich zu ihrem König; die andern Knaben thaten,
was ihnen geboten war, der aber war ungehorsam und
machte sich gar nichts aus mir. Dafür hat er seinen Lohn
empfangen. Habe ich dafür Strafe verdient, siehe, hier bin ich."
Während der Knabe also redete, erkannte ihn Astyages
auf einmal, denn die Züge des Gesichts däuchten ihm wie
seine eigenen, die Antwort aber war die eines Edlen, auch
traf die Zeit der Aussetzung mit dem Alter des Knaben zu-
sammen. Der König blieb eine Zeit lang sprachlos, und
*) Die obersten Beamten wurden Augen und Ohren des Königs
genannt.
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121
als er wieder zu sich gekommen war, entließ er den Meder
und seinen Sohn, Kyros aber und den Rinderhirten behielt
er bei sich. Nun verhörte Astyages den Ninderhirten und
darauf den Harpagos, und da beide die Wahrheit gestanden,
erfuhr er den ganzen Hergang der Sache. Er verbarg jedoch
seinen Zorn gegen den Harpagos, der seinen Befehl nicht voll-
zogen hatte, und schien sich sogar zu freuen, daß Alles so
schön gekommen wäre. Den Harpagos bat er, seinen Sohn
zu schicken und dann selbst zu Tische zu kommen. Harpagos
pries sich glücklich, daß sein Verfahren zum Guten ausge-
"schlagen war, und schickte seinen dreizehnjährigen Sohn, den
einzigen, den er hatte, an den Hof des Königs. Astyages
aber ließ den Knaben schlachten, in Stücke schneiden und das
Fleisch braten. Bei Tische ward den andern Gästen Hammel-
fleisch, dem Harpagos aber das Fleisch seines eigenen Sohnes
aufgetragen ohne Kops, Hände und Füße, die in einem Korbe
verdeckt lagen. Als nun Harpagos gesättigt zu sein schien,
fragte ihn Astyages, ob ihm das Gericht gut geschmeckt
hätte, und da Harpagos versicherte, es hätte ihm sehr gut ge-
schmeckt, brachten die Diener den verdeckten Korb und hießen
ihn denselben aufdecken und nehmen, was ihm beliebte. Har-
pagos that es und erblickte die Ueberreste seines Sohnes,
doch verbiß er seinen Schmerz, und als ihn der König fragte,
ob er wohl wüßte, von welchem Wildpret er gegessen, ant-
wortete er, er wisse es sehr wohl, und was der König thue,
das sei wohlgethan.
Dem Harpagos hatte nun Astyages eine solche Rache be-
reitet, den Kyros aber ließ er am Leben, weil ihm seine Traum-
deuter sagten, daß sein Traum schon in dem Spiele der
Knaben, die den Kyros zum König gewählt hatten, in Er-
füllung gegangen sei. Daher fürchtete er keine Gefahr mehr
von ihm, sandte ihn aber auf den Rath der Traumdeuter
wieder zu seinen Eltern in das Land der Perser.
Ais Kyros heranwuchs und wacker und beliebt war vor
allen seinen Gespielen, lag ihm Harpagos an und sandte ihm
Geschenke, weil er großes Verlangen trug, Rache zu nehmen
an dem Astyages. Er machte daher mit Kyros, als er er-
wachsen war, einen Bund. Zuvor aber überredete er insge-
heim die Fürsten der Meder, den Kyros zum König einzusetzen
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129
kam es zu einer blutigen Schlacht, und nachdem auf beiden
Seiten eine große Menge gefallen war, wandten sich die
Aegppter zur Flucht, und auch ihre Stadt Memphis mußten sie
nach einer Belagerung den Persern übergeben. Mit dem ge-
fangenen Psammenitos, dessen Muth Kambyses auf die Probe
stellen wollte, erlaubte er sich ein grausames Spiel.
Er legte seiner Tochter ein Sklavenkleid an und schickte
sie mit einem Wasserkruge nach Wasser; zugleich mit ihr t
sandte er noch die Töchter der angesehensten Aegppter in
derselben Tracht, wie die Königstochter. Als die Jungfrauen
mit Schreien und Weinen bei ihren Vätern vorbeigingen, er-
hoben auch diese über das Elend ihrer Kinder laute Klagen
und weinten; Psammenitos aber, als er seine Tochter ge-
wahrte, blickte zur Erde. Nachdem die Wasserträgerinnen
vorüber waren, schickte Kambyses auch den Sohn des Psam-
menitos mit zweitausend andern Aegyptern vorbei,- die alle,
einen Strick um den Hals, zum Tode geführt wurden. Die
Aegppter, die um ihren König saßen, weinten; Psammenitos
aber richtete seinen Blick thränenlos zur Erde. Da kam
ein alter Mann von Psammenitos Tischgenossen, der sein
Hab und Gut verloren hatte und jetzt als Bettler das Kriegs-
volk um Almosen bat, und auch bei dem gefangenen König
vorbeiging. Als dieser ihn sah, weinte er laut, rief den
Namen seines Freundes und schlug sich an den Kopf. Die
Wächter des Psammenitos meldeten dem Kambyses dessen
Benehmen, und dieser ließ den König der Aegppter fragen,
warum er bei dem Anblick seiner Tochter und seines Sohnes,
der zum Tode geführt worden sei, nicht geweint, diesen
Bettler aber, der doch nicht mit ihm verwandt sei, so hoch
geehrt habe. Psammenitos antwortete: „O Sohn des Kyros,
mein häusliches Unglück war zu groß um darüber zu weinen,
aber das Elend des Freundes, der Hab und Gut verloren
hat und an der Schwelle des Alters zum Bettler geworden
ist, war der Thräne werth."
Die Antwort gefiel dem Kambyses und es wandelte
ihn ein Mitleiden an. Er befahl, den Sohn vom Tode zu
erretten und den Vater zu ihm zu führen. Doch den Sohn
fanden die Boten nicht mehr am Leben, denn er war zuerst
hingerichtet worden; Psammenitos aber lebte fortan, ohne
Stacke, Griech. Geschichte. 10. Aufl. 9
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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194
Xxv.
Alcibiades.
Alcibiades, der Sohn des Klinias, stammte aus
einem reichen und edlen Geschlechte, das bis auf den Tela-
monier Ajax hinaufreichte, und war verwandt mit Perikles,
der nach dem Tode feines Vaters die Vormundschaft über
ihn führte. Die Natur hatte den Alcibiades mit den glän-
zendsten Gaben des Körpers und der Seele ausgestattet, er
besaß eine sehr schöne Gestalt, einen lebhaften, durchdringenden
Geist, eine einschmeichelnde Stimme, die durch ein leichtes
Anstoßen mit der Zunge — er konnte den Buchstaben R
nicht aussprechen, — nur um so lieblicher ward. Dagegen
fehlte ihm aber auch nicht jener Leichtsinn und ausgelassene
Muthwille, der überhaupt ein Zug des Athenischen Volkes
war. Bei solchen Gaben war es kein Wunder, daß er schon
als Knabe die Aufmerksamkeit der Athener auf sich zog, und
manche witzige Aeußerung, mancher lose Streich wird uns
von ihm erzählt.
Einst übte er sich mit einem stärkeren Knaben im Rin-
gen, und um nicht zu unterliegen, biß er ihn in den Arm.
Als sein Gegner ihn mit den Worten schalt: ,,Du beißest ja,
Alcibiades, wie die Weiber!" antwortete dieser: „Nein, wie
die Löwen!" — Ein andermal spielte er mit mehreren an-
dern Knaben auf der Straße Würfel und er war gerade
am Wurf, als ein Wagen gefahren kam. Alcibiades bat den
Fuhrmann zu warten, da dieser aber nicht auf ihn hörte,
legte er sich quer vor die Pferde auf die Straße und sagte:
„Nun fahre zu, wenn du willst!" Der Fuhrmann mußte
umwenden. — Alcibiades war lernbegierig und seinen Lehrern
folgsam, nur gegen die Flöte zeigte er einen unbesiegbaren
Widerwillen, weil sie den Mund und das Gesicht entstelle
und nicht gestalte, daß der Spielende dazu singe. „Die
Kinder der Thebaner," sagte er, „mögen die Flöte blasen,
denn sie verstehen nicht zu reden." Er theilte seine Abneigung
gegen dieses Instrument seinen Gespielen mit und brachte es
förmlich in Verruf. Einst wollte er seinen Vormund Perikles
besuchen, erfuhr aber vor der Thür, daß dieser beschäftigt sei
und gerade dariiber nachdenke, wie er den Athenern Rechen-
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